AKTUELL
15 JAHRE UN-BRK (3/2024)
Am 26.3.2024 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention seit 15 Jahren in Deutschland.
Das ist kein Jubiläum zum Feiern - das haben wir sowohl in dieser Presseerklärung als auch in einem Brief an Kultusministerin Schopper zum Ausdruck gebracht:
Vor allem der Artikel 24 - inklusive Bildung - ist von einer Umsetzung noch weit entfernt. Das sehen auch der Behindertenbeauftragte Jürgen Dusel und die Monitoringstelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte so und attestieren "dringenden Handlungsbedarf". Den sehen wir auch und vor allem in Baden-Württemberg.
Wir waren mit einer bundesweiten Elterngruppe in Genf zur Staatenprüfung und in Berlin zur BRK-Konferenz. Wir haben Offene Briefe geschrieben, aber wir haben nicht den Eindruck, gehört zu werden - weder vom Bund noch von den Ländern.
Auch in Baden-Württemberg kommt inklusive Bildung nicht wirklich voran. Wo wir, ausgehend von der UN-BRK und den Abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses, die Probleme und den Handlungsbedarf hier im Land sehen, haben wir unten und in der Anlage aufgeführt.
- Das unzureichende Schulgesetz, das dazu führt, dass den meisten Kindern mit Behinderung weiterhin ihre Wohnortschule verwehrt wird.
- Das Sondersystem - die heilige Kuh in Baden-Württemberg, die dazu führt, dass jede noch so kleine Sonderschule erhalten wird und von einem Systemwechsel jegliche Spur fehlt.
- Die Beteiligten und viel "altes Denken", das dazu führt, dass weiterhin fast ausschließlich Sonderschulbefürworter auf allen Ebenen das Verwaltungshandeln prägen, die die UN-BRK bewusst falsch auslegen und damit deren Umsetzung verhindern.
15 Jahre UN-BRK – #InklusiveBildungJetztinBaWü – 3 wichtige Bereiche und Forderungen
1. Das unzureichende Schulgesetz
Die Vorgaben der UN-BRK und die Aussagen der Abschließenden Bemerkungen:
Artikel 24 der UN-BRK schreibt vor, dass allen Kindern mit Behinderung gleichberechtigten Zugang zu einer hochwertigen Bildung in „der Gemeinschaft, in der sie leben“, ermöglicht wird.
Die Realität in Baden-Württemberg: In der Realität ist es vielen Kindern mit Behinderung verwehrt, an ihren Wohnortschulen zu lernen. Es werden „Zwangsgruppen“ an irgendwelchen Schulen, quasi Schwerpunktschulen durch die Hintertür, gebildet. Für diese und für ausgelagerte Sonderschulklassen fahren Kinder mit Behinderung in Bussen quer durch die Lande, Tag für Tag. Auch die normalen Berufsschulen stehen vielen nicht offen. Für einen Vorrang der Inklusion, die Abschaffung der Außenklassen und inklusive Anschlüsse an
die Sekundarstufe 1 fehlte den Schulgesetzesmachern 2015 der Mut. Der jetzigen Landesregierung fehlt dazu schon der Wille.
Dringend nötige Veränderungen: Jedem Kind mit Behinderung muss ermöglicht werden, in seinem sozialen Umfeld zur Schule zu gehen. Ohne Wenn und Aber. Dafür ist eine Änderung des Schulgesetzes in BaWü nötig, damit das Gesetz den Anforderungen der UN-BRK gerecht wird.
2. Das Sondersystem – die heilige Kuh in Baden-Württemberg
Die Vorgaben der UN-BRK und die Aussagen der Abschließenden Bemerkungen: Der UN-Fachausschuss ist „besorgt“ über die weite Verbreitung von Sonderschulen und Sonderklassen in Deutschland. Er fordert einen Plan zur Beschleunigung des Übergangs zu einem inklusiven Schulsystem.
Die Realität in Baden-Württemberg: Jede noch zu kleine Sonderschule wird in BaWü erhalten. Durch das Festhalten am Doppelsystem (Sonderschulen UND inklusive Schulen) fehlt
es vor allem für die Inklusion an Geld und Personal. Die Exklusionsquote – also die Zahl der Kinder, die an Sonderschulen lernen – ist in Baden-Württemberg seit Inkrafttreten der UN-BRK wieder gestiegen. Das ist ein Skandal. Einen Plan, dies zu ändern, gibt es nicht, schon gar keinen Zeit- oder Maßnahmenplan.
Dringend nötige Veränderungen: Das Sondersystem muss abgebaut werden. Es gibt kein „Elternwahlrecht“ für Sonderschulen, sondern nur das Recht (der Kinder) auf angemessene Vorkehrungen und damit ein hochwertiges inklusives Schulsystem, das allen Kindern gerecht wird.
3. Beteiligten und viel „altes Denken“
Die Vorgaben der UN-BRK und die Aussagen der Abschließenden Bemerkungen: Der Ausschuss stellt „falsches Verständnis“ und „negative Wahrnehmungen zur inklusiven Bildung“ auf allen Ebenen von Politik und Verwaltung fest.
Die Realität in Baden-Württemberg: In Baden-Württemberg setzen die Schulämter „Inklusion“ nach eigenem Gutdünken um. Etikettenschwindel ist an der Tagesordnung. Ausgelagerte Sonderschulklassen werden als „inklusiv“ verkauft, Eltern noch immer stark ins Sondersystem beraten und gedrängt. Das Kultusministerium schaut bei all dem zu. Es wird überwiegend noch immer von Menschen bestimmt, die sich viele Jahre als überzeugte Verfechter des Sondersystems positioniert haben und auch weiter die völlig inakzeptable Meinung vertreten, dass Sonderschulen legitimer Teil eines inklusiven Schulsystems sind. Lehrer*innen jammern mehr über Inklusion als dass sie sich fortbilden und auf diese menschenrechtliche Verpflichtung einlassen. Viele sehen Inklusion noch immer als „Kür“ an.
Dringend nötige Veränderungen: Wer Inklusion wirklich will, braucht auf allen Ebenen von Schulen und Schulverwaltungen Menschen, die Inklusion engagiert umsetzen statt sie zu boykottieren und schlechtzureden. Dafür haben die Landesregierung und das Kultusministerium zu sorgen: Durch angemessene Personalausstattung, Fortbildung, aber vor allem durch eigene (!) Klarheit und Führung.
Quellen:
Artikel 24 UN-BRK (deutsche Fassung)
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/datenbanken/datenbank-fuer-menschenrechte-und-behinderung/detail/artikel-24-un-brk
Abschließende Bemerkungen des UN-Fachausschusses 2023 (englische Fassung)
https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FDEU%2FCO%2F2-3&Lang=en